Wie kann klassische Wirtschaft von der Zusammenarbeit mit Kreativschaffenden profitieren? Zu diesen und weiteren spannenden Fragen initiierte das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft Westmecklenburg einen Online-Workshop mit der Wissenschaftsjournalistin, Wissensdesignerin und Medienproduzentin Antje Hinz. Sie stellte Praxisbeispiele aus Deutschland und anderen Ländern vor und berichtete auch über Cross Innovation-Projekte in Mecklenburg-Vorpommern.
Horizont erweitern
Kreative helfen klassischen Unternehmen dabei, den Blick für die eigene Produktpalette zu weiten und passende Dienstleistungen anzubieten. Antje Hinz erläuterte dies am Beispiel des Unternehmens LUNGE, Anbieter von Laufschuhen. LUNGE betreibt in Hamburg und Berlin die vier größten Laufläden weltweit und gehört zu den wenigen Produzenten, die ihre Schuhe in Deutschland fertigen – in einer Manufaktur in Düssin in Mecklenburg-Vorpommern. Die Gründer und Geschäftsführer Ulf und Lars Lunge bieten ihren Kund*innen neben ihren Produkten auch passgenaue Dienstleistungen an, z. B. die Neubesohlung von Laufschuhen, außerdem eine individuelle Anpassung durch Orthopädie- und Schuhtechniker sowie eine personalisierte datengestützte Laufanalyse. Der Impuls zu diesem erweiterten Angebot kam von einem der Söhne, der als Kommunikationsdesigner und Software-Entwickler tätig ist. Er hatte die Idee, Kund*innen vor dem Kauf der Schuhe in den Läden eine Laufanalyse anzubieten. Die Ergebnisse können vom Kunden digital über einen QR-Code mit nach Hause genommen und jederzeit abgerufen werden. Beim nächsten Besuch stehen die Analysedaten weiterhin zum Vergleich zur Verfügung.
Kreativschaffende als Impulsgeber
Antje Hinz stellte in ihrem Impulsvortrag vor, was Kreativschaffende durch neue Impulse und Perspektiven in Unternehmen bewirken können, „nicht ornamental als Sahnehäubchen, sondern strukturell als Hefe im Teig“. In ihren Praxisbeispielen ging es u. a. um:
● Unternehmenswandel (Insekten retten statt vernichten)
● Unternehmensfusion (Austausch und Wissenstransfer statt Blockade)
● Arbeitskultur und Arbeitsumfeld (Individualität und Stille statt Chaos im Großraumbüro)
● Zeitmanagement (Raum für Reflexion und strategische Entscheidungen statt in zahllosen Sitzungen zu versinken)
● Service (Dienstleistungen ergänzend zu Produkten)
● Mitarbeiterpflege, Nachwuchs- und Fachkräftegewinnung
● Wissenstransfer im Unternehmen (z. B. bei Urlaub, Pensionierung, Krankheit)
● Fehlerkultur, Wertschätzung, Stärkung von Eigenverantwortung unter Mitarbeitenden (Intrapreneurship)
Kreative Kernkompetenzen transferieren
Wenn Kreativen in Krisenzeiten die Aufträge wegbrechen, können neue Geschäftsideen und Tätigkeitsfelder entstehen, berichtet Antje Hinz von einem Beispiel aus dem medizinischen Bereich. Rund 5% aller Corona-Erkrankten leiden derzeit an Langzeitfolgen. Einige Covid-Patienten erhalten neuerdings Hilfe von professionellen Opernsänger*innen – dank einer Kooperation zwischen dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und der Hamburgischen Staatsoper. Sänger*innen trainieren gemeinsam mit den Patient*innen mit gezielten Atemübungen das Lungenvolumen, das in 2-3 Monaten um 20 % zunehmen kann. Auch Ärzte lernen von den Sängern dazu und wollen nun deren Trainingsmethoden auf Therapieansätze übertragen.
Austausch mit den Workshop-Teilnehmer*innen
Um Innovationen zu ermöglichen, sei es für klassische Unternehmen wichtig, eingefahrene Muster und Routinen zu hinterfragen und Perspektivwechsel zuzulassen, so Antje Hinz. Daraus entspann sich eine lebhafte Diskussion und Fragerunde mit den Teilnehmer*innen, u. a. zu diesen Fragen:
● Warum lohnt sich für klassische Wirtschaftsbranchen die Zusammenarbeit mit Kreativschaffenden?
● In welchen betrieblichen Bereichen und Szenarien können sie wirksam werden?
● Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit die Kooperationen erfolgreich verlaufen?
● Wo und wie spricht man als Kreativer klassische Unternehmen an?
● Wie findet man unternehmerische Herausforderungen und Fragestellungen, die Kreative im Unternehmen mit künstlerischen Methoden bearbeiten können?
Die Teilnehmer*innen berichteten, dass die Welten zwischen klassischen Unternehmen und Kreativen oft noch sehr getrennt voneinander seien. Intermediäre sollten als Brückenbauer agieren, so Antje Hinz. Sie vermitteln, wenn es Verständnis- bzw. Verständigungsprobleme zwischen Unternehmen und Kreativen gibt. Sie übernehmen auch das Matching und suchen für Unternehmen und deren besondere Fragestellung passende Methoden und Kreative. Die Dauer einer Cross-Innovation-Aktion bzw. künstlerischen Intervention ist von konkreten Fragestellungen, Absprachen und persönlichen Sympathien der Akteur*innen abhängig. Aus einer eher kurz angedachten Zusammenarbeit könne sich durchaus auch ein langfristiges Projekt entwickeln, so Antje Hinz. Erkenntnisse sollten auf jeden Fall dauerhaft und nachhaltig in den Arbeitsalltag eingebunden werden, damit sie tatsächlich die erwünschte Wirkung zeigen.
Die Diskussion war ebenso fruchtbar wie konstruktiv. Die Teilnehmenden äußerten den Wunsch, den Gedankenaustausch fortzuführen und zukünftig konkrete Konzepte für die Zusammenarbeit mit Unternehmen zu entwickeln.
Szenarien – hier können künstlerische Interventionen und Cross Innovation wirksam werden:
● Teamentwicklung: Gemeinschaftsgefühl, Motivation, Unternehmenskultur
● Kommunikation: interner/externer Informationsfluss, Transparenz, Fehlerkultur
● Personalmanagement: Nachwuchsgewinnung, Mitarbeiterpflege
● Strategieplanung: Perspektivwechsel, Innovationen
● Produktentwicklung: Design, Benutzerfreundlichkeit, Innovation
● Wissensökonomie: Digitalisierung, Wettbewerbsfähigkeit
● Gesundheitsmanagement: Diversity, Teilhabe
Die Online-Veranstaltung fand am 10. Juni 2021 als Kooperation mit dem Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft Westmecklenburg und Kreative MV in der Reihe Kreative:Wissen vom FORUM Kreativwirtschaft Fichtelgebirge und dem Verein KüKo – Künstlerkolonie Fichtelgebirge statt.