Digitaler Zukunftsdialog mit den Spitzenkandidat:innen der Parteien für die Landtagswahlen 2021
Kreative MV im Gespräch mit Michael Sack (CDU), Simone Oldenburg (DIE LINKE), Anne Shepley (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und René Domke (FDP): Wie entfalten wir die Potenziale der Kreativbranche für die Zukunft Mecklenburg-Vorpommerns?
Kreative MV, der Landesverband Kultur- und Kreativwirtschaft Mecklenburg-Vorpommern e.V., hat Spitzenkandidat:innen der Parteien vor den Landtagswahlen 2021 zum digitalen Zukunftsdialog eingeladen. Im direkten Austausch mit Kreativunternehmer:innen und Freiberufler:innen aus allen Teilbranchen der Kultur- und Kreativwirtschaft wird ein Einblick in die Potenziale der Branche für eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik gegeben: Welche Rolle spielt die Kreativbranche in der Wirtschaftspolitik für die verschiedenen Parteien?
Folge 3: Kreative MV im Gespräch mit Anne Shepley und Miro Zahra (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Frauke Lietz (Projekt mentoringKUNST des Künstlerbundes MV), Carolin Heim (Projektmanagerin); Volker Petri (Börsenverein des deutschen Buchhandels, Landesverband Nord), Manuela Heberer (alles-mv Media UG), Corinna Hesse (Silberfuchs-Verlag)
Moderation: Veronika Busch, Kreative MV (ZOOM Mitschnitt vom 10.6.2021)
Wo liegt die größte Herausforderung der Kreativbranche in Mecklenburg-Vorpommern?
Anne Shepley: „Ich glaube, das Potenzial und die Antriebskraft der Kreativwirtschaft für unser Land werden überhaupt nicht erkannt. Es ist viel Potenzial da, es ist viel Wirtschaftskraft da, und wir müssen alle zusammen dafür sorgen, dass das erkannt wird. Und dass diese Vision auch umgesetzt werden kann, an den Positionen, wo die Fördergelder fließen. Hier möchten wir in digitalen Formaten und Präsenzveranstaltungen in direkten Dialog mit der Branche bleiben. Meine Idee ist, dass man zunächst die Überzeugungsarbeit leisten muss, allen Politiker:innen der demokratischen Parteien zeigen muss, dass in der Kreativbranche Wirtschaftskraft liegt. Bislang werden die Werften gesehen, wir sind Tourismusland, und dann hört der Gedankengang auf. Unsere Aufgabe in der Politik ist, diese Sensibilisierung hinzukriegen. Deshalb steht bei uns im Wahlprogramm, dass wir die Kultur- und Kreativwirtschaft zu einer Kernwirtschaft machen wollen, dass sie offiziell als Schlüsselbranche anerkannt wird und einen Stellenwert hat.“
Wie sollte die Branchenförderung geändert werden?
Miro Zahra: „Was wir verlangen müssen, ist nachhaltige Förderung. Es wird jetzt auch schon gefördert, aber immer nur punktuell und über kleinere Zeiträume. Da hat man keine Möglichkeit, etwas aufzubauen, keine Vermittlungsstrukturen, keine langfristige Präsenz. Wir haben viele gute Künstler hier im Land, wir haben aber wenig Vermittlung wie Galerien und Kunstwissenschaftler, die künstlerische Inhalte nach außen tragen. Zunächst muss man anfangen, eine personelle Struktur aufzubauen. Im Wirtschaftsministerium gibt eine Stelle, aber das ist bislang sehr halbherzig. Man kann Kultur- und Kreativwirtschaft nicht nur mit Wettbewerben fördern, das ist nur ein Instrument unter vielen. Da ist sehr viel Nachholbedarf. Man muss sich nur bei unseren europäischen Nachbarn umschauen z.B. in Skandinavien, die haben Kulturagenten geschaffen, die sich nur darum kümmern, wie man an zusätzliche Förderung z.B. von der EU kommt.“
Wie lässt sich das in der Politik durchsetzen?
Anne Shepley: „Die dahinterliegende Frage ist: Wie kriegen wir hin, dass Ministerien untereinander reden? Das ist eine zentrale Frage, wie man Politik modern gestaltet. Das sollten interministerielle Treffen sein, entweder regelmäßig oder projektbezogen. Das ist eine strukturelle Aufgabe. In einem modernen Unternehmen arbeiten Teams zusammen, wieso kann man das nicht in der Verwaltung machen? Ganz konkret möchte ich, das wir nur noch Projekte fördern, die für das Gemeinwohl, für den sozial-ökologischen Wandel gut sind. Da würde die Kultur- und Kreativwirtschaft mehr berücksichtigt. Aber dann muss ich eine Mehrheit im Parlament finden für eine Änderung des Förderrechts. Und die kriege ich nur, wenn das Parlament in der Mehrheit verstanden hat, wo ich mit meinen Gedanken hin will. Und dafür sollten wir Leuchtturmprojekte durchführen, dass ich jedem Bürger, jeder Bürgerin zeigen kann, wie es funktionieren kann. Ihr habt dabei eine Vorreiterrolle zu zeigen, wie man Kultur und Wirtschaft zusammenbringen kann.“
Miro Zahra: „Die Förderung wird bislang nicht als Investition verstanden, sondern als Almosen. Und da muss sich etwas ändern. Da ist ganz viel Weiterbildung nötig. Ohne Eure Unterstützung aus den Netzwerken, die sich inhaltlich gut auskennen, wird sich das nicht ändern, da brauchen wir Eure Unterstützung.“
Wie lässt sich die Sichtbarkeit der Branche stärken?
Anne Shepley: „Wir brauchen ein Marketingbudget, das aus dem Land kommt, und das muss für 3 bis 5 Jahre gut durchfinanziert sein. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels müssen wir einfach mehr für unser Land werben. Wenn wir uns anschauen, warum kommen uns Leute besuchen, warum ziehen Leute hierher, warum ziehen Leute wieder hierher zurück, dann liegt das an der Lebensqualität. Und ich glaube, die Kultur- und Kreativwirtschaft trägt dazu bei, das noch besser zu machen. Das geht alles ineinander: nachhaltiger Tourismus, kleine regionale Wirtschaftskreisläufe, kreative Verwaltungen, die auch mal rausgehen aus ihrem Haus.“
Warum haben die Coronahilfen nur so wenige Kreativschaffende erreicht und was könnte man besser machen?
Anne Shepley: „Ich habe mich am Anfang der Corona-Krise mit vielen Bekannten unterhalten, von denen sehr viele selbständig unterwegs sind. Da sind wir wieder beim Thema Wertschätzung: Eine selbständige Journalistin oder Schriftstellerin, das ist nicht nur ein Job, das ist ein Geschäft, ein Unternehmen, das ist harte Arbeit. Und das hat in der Krise keine Wertschätzung bekommen. Es kam eher so rüber, dass Selbständige Freigeister sind, die ihre Freiheit genießen und sich nicht eingliedern wollen. Was für ein Verständnis haben wir von unseren Selbständigen? Sie zahlen Steuern, sie sind Teil der Gemeinschaft! Ich würde mir wünschen, dass wir wegkommen von dieser starren Vorstellung, was ein Job ist. Es geht um Arbeitszeitmodelle und grundsätzlich darum, was akzeptieren wir als Arbeit, wie können wir Leben und Arbeit gestalten.“
Was sind die wichtigsten parlamentarischen Schritte, um Verbesserungen für die Kreativbranche zu erreichen?
Anne Shepley: „Der wichtigste parlamentarische Schritt ist, die Kultur- und Kreativwirtschaft zur Schlüsselbranche in MV zu machen, eine Kernwirtschaft. Dann können wir sagen, wir wollen jetzt Butter bei die Fische, wir speisen uns nicht mehr nur mit 100.000 Euro ab, wir wollen ordentliche Investitionen in die Zukunft. Und dann sollten wir eine Anlaufstelle, eine Vernetzungsstelle schaffen, das kann auch eine Koordinierungsstelle zwischen den Ministerien sein, um das Interdisziplinäre für alle zur Wirklichkeit werden zu lassen.“
Mehr Informationen: Das FORUM KULTURVERBÄNDE MV hat Wahlprüfsteine an alle Parteien geschickt. Die Fragen und Antworten findet Ihr HIER