Kokreation hat in verschiedenen Bereichen der Wirtschaft Einzug gehalten. Für Haribo erfanden Kunden blaue Gummibärchen. Auf der Plattform Ideas.Lego stimmen Fans regelmäßig über Vorschläge aus der Crowd für neue Spezialmodelle ab. Bei IKEA entstehen aus Kinderzeichnungen Plüschtiere. Unilever produziert nach Kundenwünschen neue Kosmetik. Überall entstehen Produkte in kokreativen Prozessen gemeinsam mit Nutzern. Doch wo liegt der Reiz und woher kommt der Trend zu Kokreationen? Warum binden Unternehmen, Institutionen und Organisationen gezielt Partner, Einzelpersonen, Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten in den Prozess der Ideenfindung und Wertschöpfung ein?
KEYNOTE: Arne Mack, ebene c / Beratung für Marken und Menschen Stuttgart, Was ist Kokreation? Eine Einführung.
In Mecklenburg-Vorpommern arbeiten bereits viele Firmen der klassischen Wirtschaft eng mit Kreativunternehmen und -unternehmer*innen zusammen. Welche Innovationen daraus entstehen, darüber berichteten sie bei der KREATOPIA 2020 im Interview mit Antje Hinz.
IM INTERVIEW: Mirco Hitzigrath, UPSTALSBOOM und Barbara Schneider, Visual Facilitators GmbH
IM INTERVIEW: Ulf Lunge / LUNGE Manufaktur Düssin & Lunge Lauf- und Sportschuhe GmbH
IM INTERVIEW: Torsten und Kristina Goertz, GOERTZ Möbelmanufaktur GmbH Wismar und Dr. Jan Sender, Fraunhofer-Institut IGP Rostock
IM INTERVIEW: Norbert Olschewski, Stadtwerke Rostock AG und Veronika Busch, fint – Gemeinsam Wandel gestalten
IMPULS: Lena Hoffstadt, fint e.V., Cross Innovation-Projekt CTCC – Creative Traditional Companies Cooperation im Rahmen des EU-Interreg-Programmes „Von Gdynia bis nach Neustrelitz – Traditionelle Unternehmen und Kreativschaffende aus dem Südbaltikum erarbeiten nachhaltige Lösungen“
IMPULS: Raffaela Seitz, Kreativgesellschaft Hamburg, Projekte aus dem Cross Innovation Hub
Innerhalb der 12 Teilbranchen der Kultur- und Kreativwirtschaft in MV arbeiten Kreativunternehmer*innen verschiedener Branchen zusammen. Bei der KREATOPIA 2020 stellten sie ihre kokreativen Projekte vor.
Sowohl Unternehmen als auch Nutzer profitieren. Hersteller gelangen zu mehr Weitblick und Perspektivwechsel, ermitteln versteckte Kundenwünsche, verringern Fehler, vermeiden Beschwerden über unpassende Produkte oder Dienstleistungen. Firmen vermindern Risiken und Entwicklungskosten. Wenn sie ihre Nutzer direkt um Feedback bitten, reduzieren sie Kosten für teure Recherche-, Brainstorming-, Prototyping- und Testphasen. Nutzer wiederum profitieren von der besonderen Form der Kundenbindung durch maßgeschneiderte Produkte.
Die DIY-Plattformen gehen seit langem auf kreative Kundenwünsche ein. T-Shirts, Mützen und Schuhe können von Kunden selbst gestaltet werden, inzwischen auch Möbel, Fahrräder und Hausboote. Kamera, Mikrofon- und Musikinstrumentenhersteller statten Künstler mit Technik aus, um im Gegenzug Verbesserungsvorschläge für neue Designprozesse zu erhalten, natürlich auch für Lob und Kritik.
Kokreation kann das Ergebnis gemeinschaftlichen Kooperationen sein. Kokreation ist auch eine Methode, ein Prozess oder eine Organisationsform im Rahmen einer besonderen nutzerzentrierten Zusammenarbeit. Für ein kokreatives Vorhaben kommen Experten oder Koalitionen auf Zeit zusammen, eine „Crowd“ oder „Community“ von Gleichgesinnten.
Geeignete Orte für kokreative Vorhaben sind Coworking-Spaces, Fablabs und Maker-Spaces. Sie sind häufig wie eine Wundertüte: Du triffst neue Leute, teilst mit ihnen Ideen, Visionen, Herzblut und Leidenschaft, findest Dinge, die Du nicht gesucht hast und erlebst Vielfalt und Überraschungen, die Deine Projekte und Deine Persönlichkeit wachsen lassen – kokreativ. Coworking bedeutet weit mehr als nur Infrastruktur zu teilen. Es geht auch um
Wissen, Erfahrungen, Mindset.
Die Idee gemeinschaftlicher Büronutzung entstand nicht wie oft angenommen in den USA, sondern in der deutschen Hackerszene. 1995 gründeten einige Computerfreaks in Berlin den Clubraum C-Base – ein Vorläufer des Coworkings. Die Idee wurde zum Trend, als der Chaos Computer Club 2007 bei seinem Jahreskongress empfahl, gemeinsame Räumlichkeiten für neue Projekte anzumieten und einen Hacker Space zu bauen.
In Mecklenburg-Vorpommern sind inzwischen unzählige Coworkings entstanden z. B. Wir bauen Zukunft im Zukunftszentrum Nieklitz und die Alte Kachelofenfabrik in Neustrelitz, die Digitalen Innovationsräume in Schwerin, Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswald, Neubrandenburg und weitere Orte im Netzwerk smart doerp.
Wir alle sind soziale Wesen. Und genau darin liegt der Erfolg kokreativer Vorhaben. Bei der Zusammenarbeit stillen wir unser Verlangen nach sozialem Austausch und Wertschätzung. Wir sammeln Ideen, tauschen sie aus, wechseln dabei Rollen und Perspektiven, teilen Wissen und Empathie. Durch stetige Interaktion und Resonanz fühlen wir uns motiviert und beflügelt. Offen und partizipativ erforschen wir die Bedarfe bestimmter Nutzergruppen und die Bedingungen der Märkte. In agilen Prozessen und flexiblen, dynamischen Teams können wir kollaborativ entwickeln, gestalten, testen, reflektieren, verbessern, präsentieren und vor allem miteinander kommunizieren – auf analogem und digitalem Weg.
Kokreation hilft uns dabei, unsere Ziele auch mit begrenzten Mitteln zu erreichen und trotz Ungewissheit Sicherheit zu schaffen. Was habe ich? Was kann ich? Mit wem kann ich zusammenarbeiten? (Ko-)Kreativität zeigt sich darin, mit Begrenzungen klar zu kommen. Das macht erfinderisch und kooperativ!
Kokreation ist ein Instrument im Werkzeugkasten der New Work. In kokreativen Vorhaben können langlebige, zweckdienliche Ergebnisse entstehen:
In den Bereichen Film, Theater und Architektur ist Kokreation seit langem bekannt. Zur Zeit der Renaissance haben divers aufgestellte Kreativteams in Florenz gezeigt, was durch den Prozess der Kokreation möglich ist: Bauplanern, Zeichnern, Steinmetzen, Holzschnitzern und Malern gelangen herausragende Bauwerke. Der Medici-Effekt (zu Fürstenberg 2012) wurde sprichwörtlich zum Symbol für eine interdisziplinäre, gleichberechtigte kokreative Zusammenarbeit mit der geldgebenden Bankiersfamilie der Medici.
In jüngeren Zeiten arbeiten verschiedene Gewerke in den Branchen Design, Mode, Medien, Games und IT kollaborativ zusammen und beziehen Nutzerwünsche direkt ein: Funktionalität, Nutzerfreundlichkeit und „Enkelfähigkeit“ stehen dabei idealerweise im Zentrum der Entwicklungsprozesse.
Orchester, Theater und Museen gründen Freundeskreise, um die Interessen ihrer Zielgruppen zu ermitteln und Besucher enger an sich zu binden. Dem Audiance Development ist das Community Building gewichen. Statt für das Publikum passende Angebote zu entwickeln (top down), konzipiert die Community ihre Programme gleich selbst mit (bottom up). Das Publikum wird vom „Konsumenten“ zum kokreativen und aktiven „Produzenten“. Immer häufiger verlassen Kulturanbieter ihre eigenen Präsentationsräume und Spielstätten. Sie gehen dorthin, wo sich die Community üblicherweise aufhält, z. B. an öffentliche Plätze, in den Nahverkehr, in Einkaufszentren, in Parks, Jugendtreffs usw. Zielgruppen werden direkt bei ihren Themen und Lebensrealitäten abgeholt.
Auch Plattformen bieten gute Möglichkeiten, sich mit Community und Fans zu vernetzen, z. B. über Crowdfunding-Plattformen wie Startnext bzw. Nordstarter. Einen weiteren Ansatz liefern Plattform wie Steady und Patreon für “fanbasiertes Grundeinkommen”: Künstler stellen regelmäßig Kostproben ihrer künstlerischen Arbeiten online und lernen außerdem die Vorlieben ihrer Zielgruppe kennen.
Erfolgserprobt sind auch kreative Ideenwettbewerbe. Rostock kreativ z. B. ist ein Projekt der Kunsthalle Rostock, das Hobbykünstler animiert, ihre künstlerischen Arbeiten zu präsentieren und darüber mit Besuchern und Kollegen ins Gespräch zu kommen. Im Talentcamp des Künstlerhauses Schloss Plüschow können Kinder und Jugendliche ihre Werke einsenden und Kurse in Jugendkunstschulen ihrer Heimatregionen gewinnen. Auch die Politik in Mecklenburg-Vorpommern fördert den kokreativen Austausch mit den Bürgern. Die diesjährige KREATOPIA z. B. gehört zu den erfolgreich eingereichten Projektbeiträgen im Ideenwettbewerb Kultur- und Kreativwirtschaft Mecklenburg-Vorpommern. Und das Das Ministerium für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung Mecklenburg-Vorpommern sucht regelmäßig Bewerber beim kreativen Klimaschutzwettbewerb KlimaSichten.
Antje Hinz, Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft Westmecklenburg | MassivKreativ
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